von Hamit Duran, Turgi —

Es handelt sich um eine Sammlung von Beiträgen, die anlässlich einer Ringvorlesung mit dem Titel «Islam in Europa – Begegnungen, Konflikte und Lösungen» zwischen 2014 und 2017 am Institut für Islamische Theologie und Religionspädagogik der Universität Innsbruck entstanden sind. In den Beiträgen werden sowohl das islamische Traditions­verständnis als auch die eurozentrische Perspektive hinterfragt, wobei aktuell stark diskutierte Themen wie etwa Frauenrollen oder die Beziehung des Islam zur Gewalt, sowie der Umgang mit religiösen Minderheiten in der islamischen Welt ebenso behandelt werden wie die islamische Mystik, die in der gesellschaftlichen Diskussion heutzutage praktisch gar kein Thema ist. Dadurch möchte dieser Band nach Aussage des Herausgebers dazu beitragen, dem Fremden und Anderen nicht mit Angst, sondern mit Offenheit und Neugierde zu begegnen und Veränderungen im eigenen und tradierten Denken zuzulassen.

Im ersten Beitrag behandelt der Herausgeber, Zekirija Sejdini, das Thema «Islamische Religionspädagogik im europäischen Kontext». Er untersucht dabei die Situation der islamischen Religionspädagogik im Spannungsfeld zwischen dem akademischen Diskurs der in Europa seit der Aufklärung im säkularen Kontext stattfindet, und dem Anspruch der eigenen Traditionen. So stellt er fest, dass die Forschung in diesem Bereich von zwei gegensätzlichen Ansätzen dominiert wird: einerseits von einem religionswissen­schaftlichen und andererseits von einem konfessionellen Zugang. Wie nicht anders zu erwarten, kritisiert er, dass letzterer Zugang in der islamischen Theologie und Religionspädagogik kaum bis gar nicht vorhanden ist. In diesem Zusammenhang fordert Zekerija, dass die islamische Theologie und Religionspädagogik einer Revision unterworfen wird, und dass theologische Aussagen, denselben wissenschaftlichen Grundsätzen, wie alle anderen Wissenschaften folgen müssen, denn dies sei eine Grundvoraussetzung für deren Weiterentwicklung und Eingliederung in den hiesigen akademischen Diskurs im säkularen Kontext. Erst so könnten religiöse Innovationen auf den Weg gebracht werden. Woraus diese bestehen sollen bleibt aber eher unklar.

Einiges schwieriger zu lesen ist der Aufsatz von Bacem Dziri zum Thema «Was ist der Islam – und wenn ja, wie viele?» Bereits der scheinbar widersprüchliche Titel deutet an, dass sich der Autor auf ein sehr heikles, aber nichtsdestotrotz wichtiges Thema einlässt. Er erwähnt viele Beispiele von Publikationen, Artikeln, Medienbeiträgen etc., die oft einen Titel wie «Der Islam ist X, der Islam braucht Y» o.ä. tragen, wobei «X» für gewalttätig, frauenfeindlich etc., und «Y» für Aufklärung, mehr Weiblichkeit etc. stehen kann. Es wird selbst in akademischen Kreisen angenommen, dass es «den Islam» schlechthin gibt, und dass dieser Islam grundsätzlich schlecht, falsch, gewalttätig, herrschsüchtig etc. ist. Dies zeigt sich selbst in der deutschen Sprache, in der zwar von Judentum und Christentum, nicht aber von Muslimentum die Rede ist. Es wird also, im Gegensatz zu den ersten beiden Religionen, kein Unterschied zwischen dem Islam und der Gemeinschaft der Muslime gemacht. Der Autor sieht neben dem Problem, dass es weder den «Herrn Islam» noch die «Frau Islam» gibt, dass Im Diskurs eine Atmosphäre herrscht, in der jeder entweder für oder gegen den Islam spricht, und damit werden Lösungen oft verhindert.

Auch im Beitrag von Erol Yildiz unter dem Titel «Vom methodologischen Orientalismus zur muslimischen Alltagspraxis» geht es um die Analyse der Art und Weise, wie Muslime in Europa wahrgenommen und behandelt werden. Er verweist dabei auf das eurozentrische Weltbild, das dazu führt, das Eigene zur Maxime und einzig Richtige zu erheben. Dadurch werden praktisch alle Abweichungen davon abgewertet.

Yildiz richtet seinen Fokus auf polarisierende Deutungen nach dem Muster Wir (Christen) und Die (Muslime). Er verwendet dabei den Begriff des binären Denkkonzeptes, demzufolge nur westliche Gesellschaften als modern, hochentwickelt du fortschrittlich gelten.

Der Autor lenkt danach zuerst den Blick von «oben nach unten» und beschreibt das Verhältnis der Medien zur Wissenschaft. Dabei stellt er fest, dass insbesondere die Massenmedien einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das öffentliche Bild des Islam und die Muslime ausüben. Anhand konkreter Beispiele zeigt er auf, dass die mediale Berichterstattung schon längst die Form einer Kampagne angenommen hat, in der vor allem muslimische Jugendliche in negativen Zusammenhängen mit Gewalt, Kriminalität etc. auftauchen. Interessant ist auch, dass der in den Medien viel benutzte Begriff «Parallelgesellschaft» eigentlich eine wissenschaftliche Erfindung ist, der erstmals in einer Studie im Jahre 1997, also vor mehr als 20 Jahren, benutzt worden ist.

Im Folgenden lenkt der Autor dann den Blick von «unten nach oben», indem er aufzeigt, dass religiöse Orientierungen unter den Muslimen vielfältiger geworden sind. Er benutzt dabei den Begriff der Transtopie, einem «dritten Raum», den vermehret Jugendliche der zweiten und dritten Generation suchen, da sie sich in keinem der beiden Pole, einheimisch und fremd, wohlfühlen. Dieser Raum erlaubt es, alte und neue Erfahrungen, unterschiedliche kulturelle Elemente etc. zusammenzufügen und zu synthetisieren. Den Begriff des «Euroislam» lehnt er aber klar ab, da dies nur wieder eine neue Differenzlinie zwischen besseren «Euromuslimen» und eher problematischen «Nicht-Euromuslimen» führen würde. Ein wirklich interessanter Gedankengang.

Ein vergleichsweise kurzer, aber nichtsdestotrotz interessanter Beitrag von Halima Krausen, widmet sich dem Thema «Islam und Geschlechtergerechtigkeit» (man achte auf den Titel…). Sie stellt fest, dass dank der heute verfügbaren Menge an Informationen viel über die theoretischen Möglichkeiten, die muslimischen Frauen in der islamischen Welt offenstehen, diskutiert wird, kaum aber über die praktischen Hürden, die sich Musliminnen im Alltag in den Weg stellen, wenn sie ihre Tätigkeit in die Öffentlichkeit führt. Vor allem das «allgegenwärtig herumspukende Konzept der Geschlechtertrennung bei öffentlichen Zusammenkünften» scheint ihr ein Dorn im Auge zu sein.

Dazu schlägt sie vor, dass gewisse Textpassagen im Qur’ân und ihre Zielrichtungen neu entdeckt werden sollten. Dies bedingt aber, dass man sich von gewohnten Denkstrukturen löst und ungewohnte Perspektiven und Interpretationen mit in Betracht zieht. Als Beispiel dafür erwähnt sie z.B. den berühmten «Zwischenfall der grossen Lüge» um Aisha, der Ehefrau des Propheten Muhammad, welche im Qur’an in den Versen 24/12-19 aufgegriffen wird. Die Autorin zieht daraus sehr interessante Schlüsse, die in eine ganz andere Richtung zielen als gemeinhin angenommen wird. Dasselbe macht sie auch mit den Versen 24/1-24, in denen es um Unzucht und Verleumdung und die daraus resultierenden Rechtsfolgen geht.

Krausen regt an, dass im Qur’an und der Sunna verankerte Prinzipien ernst genommen werden und als Kriterien für eine Überarbeitung der islamischen Tradition herangezogen werden sollten. Dadurch könnten neue situationsbezogene Regelungen erarbeitet werden zu Themen wie z.B. Erbschaft oder Polygamie, die leicht ihren Sinn verlieren können, wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen werden und als Selbstzweck betrachtet werden, wie das heute leider oft der Fall ist. Schade, dass dieser Beitrag eher kurz ist und keine konkreten Beispiele für die eben beschriebene Überarbeitung bietet.

Ein ganz anderes Thema wird von Jürgen Wasim Frembgen aufgegriffen: «Spiritualität im Islam: Die Sufi-Tradition». Er gibt in seinem kurzen Beitrag eine Übersicht über die islamische Mystik, den Sufismus (arab. Tasawwuf), welcher integraler Bestandteil des Islam ist. Nach einer kurzen Einführung in den Sufismus, den er kurz und prägnant als eine «religiöse Strömung der Hingabe an den Glauben und der Ergriffenheit durch das Göttliche» charakterisiert, behandelt er die Quellen der mystischen Gottesliebe, z.B. die im Qur’an beschriebene «Nacht der Macht» (arab. Lailat-ul-Qadr), die Meditation des Propheten Muhammad in der Höhle Hira ausserhalb Mekkas, wo er die ersten Offenbarungen empfing, der Thronvers (Qur’an 2/255) und andere.

Danach stellt er die wichtigsten Sufiorden kurz vor, z.B. die im 11. Jhd. im Irak gegründete Qadiriyya, die sich im 14. Jhd. von Buchara aus verbreitende Naqshibandiyya oder die im 14. Jhd. in der heutigen Türkei institutionalisierte Mevleviyye. Nach einer kurzen Beschreibung der Sufi-Praxis (inkl. deren verschiedenen Formen), widmet der Autor leider nur einen sehr knappen Abschnitt dem Thema Sufismus in der heutigen Zeit. So erfährt der Leser z.B. nicht, welche der verschiedenen Sufi-Orden heute in Europa verbreitet sind und wie sie in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten und wahrgenommen werden. Das ist etwas schade.

Einem sehr heiklen Thema widmet sich Rüdiger Lohlke mit seinem Beitrag unter dem Titel «Islam und Gewalt, Gewalt und Islam?» Ähnlich wie Erol Yildiz und Bacem Dziri betrachtet er das gewählte Thema aus einem unüblichen Blickwinkel und zeigt auf, dass im Unterschied zur gängigen Diskurspraxis, bei der die eine Seite das Friedens- und die andere Seite das Gewaltpotential des Qur’an hervorhebt, die betreffenden Stellen im Qur’an alternativ angegangen werden können. Er bezieht sich dabei auf einen mittelalterlichen Qur’an-Kommentar, der von an-Nishâbûri (gest. ca. 1330 n. Chr.), der zur Zeit der mongolischen Il-Khane im Iran lebte, verfasst wurde.

In seinem Beitrag greift Lohlke schwierige Textstellen im Qur’an auf, wie z.B. 2/190-194, 2/216, 3/167-169 , 4/74, 9/5 und andere und erläutert, wie diese von an-Nishâbûri interpretiert wurden. Er zeigt dabei das in der nüchternen Betrachtung nicht sofort ersichtliche Spannungsfeld zwischen den Bezügen zu militärischer Auseinandersetzung und individuellem inneren Kampf gegen das eigene Ego (arab. nafs) auf. Auch betrachtet er die Verse in ihrem historischen Kontext, was deren unmittelbare Anwendbarkeit entscheidend einschränkt. Der Autor kommt zum Schluss, dass es unmöglich ist, aus der literalistischen Lektüre des Qur’ans auf die eine islamische Auffassung zu einer Qur’an-Stelle zu schliessen: «Die auf den Koran gerichtete Suchbewegung verweist uns auf Vieldeutigkeiten der Interpretationen, die einem simplen modernen Geist nicht zugänglich sind.»

Wolfram Reiss beleuchtet in seinem Beitrag den «Umgang mit religiösen Minderheiten in der islamischen Welt». Er kommt bei seiner Analyse zum Schluss, dass die Möglichkeiten des friedlichen Zusammenlebens mit monotheistischen Religionen sehr umfassend sind, unter anderem auch aufgrund der Qur’an-Verse 2/256, 2/62 und 5/82. Schwieriger ist aber der Umgang mit Religionen, die nicht dem Monotheismus zugeordnet werden können wie z.B. Hinduismus, Buddhismus und andere. Ihnen wird eine Heilsmöglichkeit nur sehr eingeschränkt zugestanden. Dies geht teilweise sogar so weit, dass ihre Anhänger sogar aktiv bekämpft wurden und werden. Der Umgang des selbsternannten Islamischen Staates (IS) mit den Jesiden ist ein sehr trauriges Beispiel dafür aus der Gegenwart.

Es gibt in jüngerer Zeit aber immer mehr Theologen und Gläubige, die den Weg des unvoreingenommenen Kennenlernens und einer grundsätzlichen Bejahung der Differenzen gehen. Sie berufen sich dabei auf die Verse 49/13 (Allah hat die Menschen zu Völkern und Stämmen werden lassen, damit sie sich kennenlernen) und 2/30 (der Mensch ist Statthalter Gottes auf Erden). Dies ist ein wichtiger Ansatz, der in die richtige Richtung führt.

interreligiöse Kompetenz und ihre Anordnungen sind das Thema von Mirjam Schambeck’s Beitrag: Anhand eines praktischen Fallbeispiels aus dem deutschen Berufsalltag, das sich in der Realität in ähnlicher Form zugetragen haben muss, versucht sie zu erläutern, worauf es dabei ankommt. Die relativ einfache und für den gesunden Menschenverstand naheliegenden Erkenntnisse, die sie daraus zieht, fasst sie aber in einen ziemlich schwierig zu lesenden Text. Mit vielen Worten wird, auch dank einiger unnötiger Wiederholungen, relativ wenig gesagt. Auch die grafischen Abbildungen, die sie in ihren Text einsetzt, helfen nicht wirklich.

Der letzte Beitrag dieses Bandes stammt von Martina Kraml und befasst sich mit dem Thema «Religionspädagogik im Kontext der Rede von transreligiös, transversal und interreligiös». Wie der Titel schon erahnen lässt, ein nicht sehr einfaches Thema, das sie, wie schon im vorangehenden Beitrag, ziemlich kompliziert erklärt. Sie unterscheidet zwischen «multireligiös», das sich auf das Nebeneinander verschiedener Konfessionen und Religionen beschränkt, «interreligiös», das über das Multireligiöse hinausgeht und zusätzlich das Gemeinsame betont, welches aber nur punktuell geschieht und «transreligiös» oder «transversal», in dem darüber hinaus Verbindungen, Brücken und Übergänge gesucht oder geschaffen werden. Erst eine interreligiöse Bildung in diesem Kontext könne einen Beitrag zu einer Vision für Europa beitragen.

Alles in allem eröffnet die vorliegende Publikation durchaus neue Einblicke in viel diskutierte Themen bezüglich Islam und Muslime in Europa. Einiges erscheint mir als neu, anderes empfinde ich als relativ simplen Inhalt in wissenschaftlicher Sprache verpackt, so dass nicht für jedermann oder -frau einfach verständlich ist. Aber das gehört wohl zu Beiträgen mit wissenschaftlichen Anspruch.

 

Bibliografie 

Zekirija Sejdini (Hrsg.), Islam in Europa – Begegnungen, Konflikte und Lösungen, 2018, Studien zur Islamischen Theologie und Religionspädagogik, Band 3, 198 Seiten, broschiert, 29,90 €, ISBN 978-3-8309-3809-5

Mit Beiträgen von

Bacem Dziri, Jürgen Wasim Frembgen, Martina Kraml, Halima Krausen, Rüdiger Lohlker, Wolfram Reiss, Mirjam Schambeck, Erol Yıldız