Lesen Sie hier ein Interview mit Max Heimgartner, Präsident des AIRAK, das die Mittelland Zeitung am 19. Dezember 2005 veröffentlichte:

 

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von Olivia Kühni

Herr Heimgartner, gerade ist bekannt geworden, dass in Niederlenz und Oberentfelden zwei neue islamische Kulturzentren entstehen. Müssen wir Angst haben vor einer muslimischen Invasion?

Max Heimgartner: Nein, das müssen wir nicht. Wir haben es zum allergrössten Teil mit friedlichen Menschen zu tun, die einfach das leben wollen, was ihnen wichtig ist.

Und was ist das? Was geschieht in diesen Zentren?

Heimgartner: Zunächst finden einmal religiöse Aktivitäten statt, also insbesondere das gemeinsame Gebet am Freitag und jedes Jahr die Feier des Ramadan. Die zweite wichtige Funktion ist die «Cafeteria», das heisst der Austausch, das Schwatzen und das Pflegen der Gemeinschaft. Als Drittes werden Kinder und Jugendliche betreut und unterrichtet.

Wie sieht denn dieser Unterricht aus?

Heimgartner: Die Kinder lernen die arabische Schrift und Sprache, und sie lesen den Koran auf Arabisch. Sie lernen auch die eigene Kultur kennen, und zwar nicht nur theoretisch, sondern mit Festen und Speisen. Und vor allem wird ihnen eine gewisse Moral beigebracht, Umgangsformen und Wertvorstellungen. Das ist ziemlich beeindruckend.

Das kann auch gefährlich sein. Wie verträgt sich diese Moral mit unserer Kultur?

Heimgartner: Nun, da gibt es natürlich Unterschiede zwischen den einzelnen Gemeinschaften. Die starke Tendenz ist aber, dass man sich mit den westlichen Werten auseinander setzt, sie reflektiert und nicht einfach als feindlich ablehnt. Ich muss Ihnen klar sagen: Gefährlich wäre es, keine solchen Zentren zu haben.

Warum?

Heimgartner: Jeder Mensch bewegt sich im Wechselspiel zwischen seiner Identität, einem «Bei-sich-Sein» und der Öffnung gegenüber anderen. Nur wer eine starke eigene Kultur hat, einen Ort, wo er sich zu Hause fühlt, kann sich gegenüber anderen öffnen. Die Kulturzentren schaffen einen solchen Ort.

Sie können auch zu Inseln werden.

Heimgartner: Natürlich besteht diese Gefahr. Genau deswegen müssen wir auf diese Öffnung hinarbeiten und den Dialog suchen.

Wird denn Ihr Angebot zum Dialog angenommen?

Heimgartner: Tendenziell ist es so, dass jede Religionsgemeinschaft, auch die christliche, immer zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist. Im Kopf ist die Einsicht da, in der Praxis fehlt dann aber oft die Zeit und die Kraft. Oder der Mut, sich zu exponieren. Sobald aber Probleme auftauchen, wie fehlende Räumlichkeiten oder Gewalt, wird der Dialog gesucht. Von beiden Seiten.

Mit was für Leuten haben Sie es denn in den Kulturzentren zu tun? Sind das Geistliche, Gelehrte?

Heimgartner: Eigentlich nicht. Mit der zweiten Generation sind immer mehr Intellektuelle dabei. Die meis-ten aber sind Arbeiter, in Lagerhäusern oder im Verkauf, obwohl sie natürlich oft mehr könnten. Das ist manchmal schwierig.

Inwiefern?

Heimgartner: Weil es Mut braucht, zur Religion eine eigene Meinung zu haben. Das ist etwas, was ich als Reformierter bewusst suche: Den Dialog mit Menschen, die sich ganz individuell mit ihrer Religion auseinander setzen, ohne Angst zu haben, es dem Imam nicht recht zu machen. Intellektuelle haben hier natürlich ein anderes Selbstvertrauen.

Wie sehen Sie denn die Zukunft der Kulturzentren?

Heimgartner: Momentan sind viele Gemeinschaften auf der Suche nach Räumlichkeiten, oder sie sind in alten Fabriken. Das wird wohl etwas zur Ruhe kommen. Dann werden neue Nationalitäten kommen, zum Beispiel die Iraker und Iraner. Und es gibt, auch im Islam, einen Trend zur Säkularisierung. Das heisst, die sozialen Aufgaben der Zentren werden im Vergleich zu den religiösen immer wichtiger.

Sie sagen, muslimische Kulturzentren stellen keine Gefahr dar. Dennoch empfinden das viele Menschen so. Wie kommt das?

Heimgartner: Das ist schwierig zu sagen. Man muss sich fragen, woher das Bild vom Islam als aggressiver Religion kommt. Ich glaube, dass viele Christen sich ihrer eigenen Geschichte nicht bewusst sind und nicht wissen, was sich das Christentum alles geleistet hat, und immer noch leistet. George W. Bush ist ein eifriger, überzeugter Kirchgänger – mehr muss ich nicht sagen. Wir sollten uns einmal die Mühe machen, zu lesen und zu hören, wie islamische Länder uns wahrnehmen. Dann erklärt sich vieles.

Wie soll sich aber ein Einzelner verhalten, der wirklich Angst hat und sich bedroht fühlt?

Heimgartner: Zunächst einmal sollte man das Gespräch suchen mit jemandem, dem man vertraut. Das hilft oft bereits viel. Dann ist es wichtig, die Bedrohung kennen zu lernen, das Gespräch zu suchen. Wenn man etwas kennt, wirkt es oft nicht mehr bedrohlich. Die Kulturzentren haben oft Tage der offenen Tür, und Institutionen wie unsere können ebenfalls Kontakte vermitteln. Besonders wichtig ist es auch, sich nicht instrumentalisieren zu lassen von Leuten, die Eigeninteressen verfolgen.

«Bad» und «Sonne» nicht alleine

Muslimische Zentren sind im Kanton Aargau zahlreich.

In der Ausgabe vom Freitag, 16. Dezember, hat die Aargauer Zeitung berichtet, dass sowohl das Hotel Sonne in Niederlenz, als auch der ehemalige Gasthof zum Bad in Oberentfelden bald als muslimische Kulturzentren umgenutzt werden sollen. Ungefähr 20 Kulturzentren muslimischen Hintergrundes bestehen derzeit im Kanton Aargau, unterhalten von verschiedenen Nationalitäten. Weil die Entstehung solcher Zentren Fragen aufwerfen und Ängste auslösen können, soll die Entwicklung nicht unkommentiert bleiben. Die Aargauer Zeitung hat mit Max Heimgartner, dem Präsidenten des Aargauer Interreligiösen Arbeitskreises, über Aktivitäten und Zweck der muslimischen Kulturzentren gesprochen. (oku)

«Nur wer eine starke Identität hat, kann sich gegenüber dem Fremden öffnen», ist Max Heimgartner überzeugt.

Marcel Siegrist

Zur Person

Max Heimgartner ist Präsident und Gründungsmitglied des Aargauer Interreligiösen Arbeitskreises Airak (www.airak.ch). In dieser Funktion steht er in ständigem Kontakt mit den verschiedenen Religionsgemeinschaften im Aargau. Zuvor hat Heimgartner jahrelang für die Fachstelle «Ökumene, Mission, Entwicklung» der Aargauer reformierten Landeskirche gearbeitet und einige Reisen in Entwicklungsländer unternommen.

 

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