von Hamit Duran, Turgi, 29. Dezember 2013

Der Islam betrachtet Organtransplantationen, bei denen Gliedmassen, Organe oder andere Körperteile einer Person entnommen werden, um sie in einen anderen Körper zu verpflanzen, als einen tiefen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Menschen. Daher ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Organtransplantation nach den Prinzipien und Regeln der Scharia als verboten, erlaubt oder gar als geboten angesehen werden darf, ausserordentlich umstritten.

Auf der einen Seite stehen dabei die Ansprüche des Individuums auf und seine Verfügungsbefugnis über den eigenen Körper und auf der anderen Seite die göttlichen Vorbehalte oder hoheitliche Zugriffsversuche (z.B. seitens des Staates).

Folgende Fragen werden dabei durch die Gelehrten diskutiert:

  • Welche Gründe rechtfertigen eine Verletzung des menschlichen Körpers, wenn diese weder medizinisch indiziert, noch strafrechtlich erforderlich ist?
  • Wie ist der Schaden zu beurteilen, der sich für den Spender ergibt, und welches Schadensausmass ist hier zu tolerieren?
  • Ist es prinzipiell erlaubt, Teile des menschlichen Körpers medizinisch zu verwenden?
  • Welches Recht hat der Mensch, über seinen Körper zu entscheiden bzw. über andere Körper zu verfügen – hat das Individuum ein absolutes Verfügungs- oder eingeschränktes Benutzungsrecht?

Ethisch relativ unbedenklich ist eine Organtransplantation dann, wenn es sich beim Spender und Empfänger um dieselbe Person handelt, also bei sog. autologen Transplantationen, denn der Islam kennt schon seit jeher medizinische Praktiken wie das Schröpfen oder den Aderlass.

Bezüglich der eigentlichen Organtransplantation weisen die Meinungen im klassischen islamischen Recht darauf hin, dass es absolut unerlaubt ist, den menschlichen Körper zu verwenden. Dies begründet sich vor allem in der Ansicht, dass vom Körper getrennte Teil als unrein gelten und daher nicht wieder verwendet werden dürfen. Es gibt aber auch einige Rechtstexte zur Lockerung dieses Verbots.

Zeitgenössische Rechtsgelehrte, wie z.B. Yusuf al-Qaradawi, kommen zu einem anderen Urteil. Sie gehen dabei von den folgenden Grundsätzen aus:

  • Der Mensch hat ein Recht auf seinen Körper
  • Not bricht Gebot
  • Schaden ist zu beheben
  • Taten sind nach der zugrunde liegenden Absicht zu beurteilen
  • Rechtsurteile verändern sich durch die Veränderung der Lebensumstände

Aus diesem Grunde sehen viele der zeitgenössischen Gelehrten Organspenden als grundsätzlich erlaubt an, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

  • Die Organentnahme darf für den Spender nicht lebensbedrohlich sein.
  • Der Spender muss einverstanden sein.
  • Es muss eine unbedingte medizinische Notwendigkeit vorliegen. Organspenden für rein kosmetische Zwecke sind also nicht erlaubt.
  • Der Organhandel ist verboten, es dürfen also keine kommerziellen Interessen vorhanden sein.
  • Der Nutzen muss grösser als der Schaden sein.

 

Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann eine Organspende aus islamischer Sicht als erlaubt betrachtet werden.

 

Quellennachweis

Martin Kellner, «Islamische Rechtsmeinungen zu medizinischen Eingriffen an den Grenzen des Lebens
– Ein Beitrag zur kulturübergreifenden Bioethik», Ergon-Verlag, 2010