Eine kurze Einführung in die Glaubenslehre des Islam, von Hamit Duran (Turgi).

 

Über keine Religion wird in der letzten Zeit so häufig geschrieben, berichtet und diskutiert wie über den Islam. Eine zunehmende Zahl von Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften, Berichten und Reportagen in Radio und Fernsehen sowie Dialogveranstaltungen in Kirchgemeinden legen ein beredtes Zeugnis davon ab.

Dazu kommen weltpolitische Ereignisse wie der Golfkrieg, die neue Unabhängigkeit der einstmals sowjetischen mittelasiatischen Republiken und die Krise am Balkan. Gleichzeitig müssen wir Muslime aber feststellen, dass die Unwissenheit über diese Religion weit verbreitet ist. Das mag verschiedene Gründe haben, auf die ich hier aber nicht eingehen möchte, sondern ich möchte in diesem Artikel vielmehr zum allgemeinen Verständnis des Islam beitragen, indem ich die wichtigsten Grundzüge der islamischen Religion zusammenfasse, ohne dabei Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.Zunächst scheint es mir angebracht, die Bedeutung des Wortes «Islam» zu erläutern. Das Wort «Islam» stammt von der arabischen Wurzel «s-l-m» und kann mit Begriffen wie «Hingabe, Ergebenheit, Unterwerfung» umschrieben werden. Das Wort «Salam», das von derselben Wurzel abgeleitet wird, bedeutet soviel wie «Frieden», daher der islamische Gruss «As-Salamu alaikum»«Der Friede (Gottes) sei mit dir». Ebenfalls von derselben Wortwurzel stammt der Ausdruck «Muslim/Muslima» was jemanden bezeichnet, der sich dem Willen des einzigen Gottes unterworfen hat und deshalb in Frieden mit sich, der Schöpfung und dem Schöpfer lebt.

Die Glaubensgrundlagen

Grundlage des Islam bildet das sogenannte Glaubensbekenntnis (arab. «Schahada»). Es lautet: «Es gibt keine Gottheit ausser Allah und Muhammad ist Sein Gesandter.» Im ersten Teil dieses Glaubensbekenntnisses wird die Einheit Gottes (arab. «Tauhîd») bezeugt. Nichts kann auf die Stufe Gottes gestellt werden. Er ist die absolute Realität, die alles Sichtbare und Unsichtbare, Lebendige und Leblose aus dem Nichts erschafft und erhält. Gott lässt sich nicht auf die menschliche Ebene begrenzen, Er steht über allen sinnlichen Wahrnehmungen und rationalen Konzepten.

Trotzdem ist Er dem Menschen näher als seine eigene Halsschlagader (vgl. Koran 50:16). Im Bewusstsein dieser Tatsache ist das Leben des Muslims deshalb auf das Erlangen des Wohlgefallen Gottes ausgerichtet.Im zweiten Teil des Glaubensbekenntnisses wird der Glaube an die Prophetenschaft Muhammads (Friede sei mit ihm) zum Ausdruck gebracht. Die prophetische Sendung ist im Islam aber keinesfalls auf ihn beschränkt. Der Koran lehrt, dass sich Gott seit Anbeginn der Menschheit immer wieder den verschiedenen Völkern offenbart hat. Dazu erwählte er besonders edle Menschen als Überbringer Seiner Offenbarung und Seines Gesetzes. Die Propheten sind jedoch ohne Ausnahme Menschen und keine Übermenschen oder gar Götter. Die Muslime glauben an alle Gesandten Gottes und machen «keinen Unterschied zwischen ihnen» (vgl. Koran 2:285). Muhammad ist der letzte, der ihre Reihe abschliesst und ihre früheren Botschaften bestätigt.Die Existenz des Menschen endet nicht mit seinem körperlichen Ableben. Der Tod ist ein natürlicher Übergang vom diesseitigen in das jenseitige Dasein.

Dieses Jenseits ist das eigentliche Ziel jeglicher Handlung des Muslims. Das Leben auf dieser Erde stellt in diesem Sinne eine Prüfung dar, in der die Weichen für das jenseitige Leben gestellt werden. Am «Tage des Gerichts» wird der Mensch für seine Taten von Gott zur Rechenschaft gezogen werden. Niemandem wird dabei nur das geringste Unrecht geschehen: «Wer Gutes im Gewicht eines Stäubchens getan, wird es sehen; und wer Böses im Gewicht eines Stäubchens getan, der wird es ebenfalls sehen.» (Koran 99:8). Am Ende stehen dann das Leben im Paradies oder in der Hölle. Die Barmherzigkeit Gottes wird dabei den aufrichtig Bereuenden zugute kommen. In diesem Zusammenhang ist noch anzumerken, dass der Islam keine Erbsünde kennt. Jeder Mensch wird unschuldig geboren. Erst wenn er das Stadium der eigenen Urteilskraft erreicht hat, d.h. wenn er fähig ist, gut und böse zu unterscheiden, kann er zur Verantwortung für seine Taten gezogen werden. Dabei haben alle Menschen, ob Mann oder Frau, schwarz oder weiss, arm oder reich denselben Stellenwert vor Gott und dem Gesetz. Das einzige, das sie unterscheidet, ist der Grad ihrer Gottesfurcht und ihre Nähe zum Schöpfer (vgl. Koran 49:13).Gott hat die Schöpfung nicht hervorgebracht, um irgendeinen Nutzen daraus zu ziehen, sondern Er schenkt Seinen Geschöpfen durch ihr Dasein die Möglichkeit zur eigenen Entwicklung.

Der Mensch wird im Koran als «Statthalter Gottes» auf Erden bezeichnet (vgl. Koran 2:30). Ihm wurde die Erde zur Verfügung gestellt, um sie sich zunutze zu machen. Er darf dabei aber nicht vergessen, dass ihm die Erde mit all ihrer Flora und Fauna nur für eine bestimmte Zeit zur Verfügung gestellt wurde und er nicht der eigentliche Besitzer ist. Er ist Träger des göttlichen Vertrauenspfandes und infolge seiner Willensfreiheit gegenüber sich und der gesamten Schöpfung verantwortlich. Aus diesem Grundsatz lässt sich die islamische Umweltethik ableiten: da der Mensch nicht der Besitzer der Schöpfung ist, hat er kein Recht dazu, ihr irgendeinen Schaden zuzufügen. Er ist dafür verantwortlich, dass er sie seinem Schöpfer in dem Zustand «übergibt», in der er sie erhalten hat. Wir Muslime glauben, dass die Lösung der immer grösser werdenden Umweltprobleme nur auf dieser Basis befriedigend gelöst werden können.

Wie einige andere Propheten vor ihm erhielt auch Muhammad eine schriftliche Offenbarung, den Koran. Er wurde ihm im Laufe von 23 Jahren schrittweise offenbart und ist Warnung und «Rechtleitung für die Menschen» (vgl. Koran 2:185). Er bestätigt und vollendet alle früheren Heilsbotschaften. Sein Stil in deutlichem Arabisch ist unerreicht und sein Inhalt wurde bis heute unverfälscht überliefert, denn er wurde einerseits zu Lebzeiten des Propheten niedergeschrieben und andererseits von vielen seiner Gefährten auswendig gelernt.

Der Koran ist Gotteslehre, Morallehre und Gesetz in einem. Er wird dabei erläutert und ergänzt durch die «Sunna,» dem vorgelebten Beispiel des Propheten. Wird der Koran unter einem wissenschaftlichen Gesichtspunkt untersucht, so stellt sich heraus, dass er viele Aussagen enthält, die in der damaligen Zeit (vor rund 1400 Jahren) noch vollkommen unbekannt waren und deshalb nicht von einer menschlichen Quelle her stammen können (vgl. z.B. Koran 21:30 über die Entstehung des Universums, Koran 55:33 über die Eroberung des Weltraumes durch den Menschen oder Koran 75:37-38 über die Zeugung und Entwicklung des Menschen in der Gebärmutter).

Die Glaubenspraxis

Ich möchte nun noch einige Worte über die Glaubenspraxis der Muslime verlieren. An erster Stelle ist hier wohl das Gebet (arab. «Salah») zu erwähnen, welches fünf mal am Tag allein oder in der Gemeinschaft verrichtet werden muss. Ihm gehen Reinigungen voraus, zu welchen in der Regel Wasser verwendet wird. Die Gebetszeiten werden nach dem Sonnenstand bestimmt, wobei es aber heute praktische Gebetskalender für alle Erdteile gibt. Das Gebet selbst besteht aus der Rezitation einzelner Teile des Koran begleitet von Körperhaltungen wie aufrechte Stellung, Verbeugung und Niederwerfung, welche die Hingabe an den Willen Gottes symbolisieren. Der Sinn des Gebets wird vor allem in seiner Schutzfunktion vor üblen Gedanken und Handlungen gesehen (vgl. Koran 29:45). Obwohl die Moschee oder «Masdschid» (d.h. Ort der Niederwerfung) der geeignete Raum für Gebete ist, brauchen sie nicht unbedingt dort verrichtet zu werden, da laut einer prophetischen Überlieferung die ganze Erde als ein Gebetsraum gilt.

An über achtzig Stellen erwähnt der Koran die Armensteuer (arab. «Zakat») zusammen mit der Verpflichtung zum Gebet. Die wohlhabenden Mitglieder der islamischen Gemeinschaft entrichten diese soziale Abgabe an die Bedürftigen, «damit die Reichtümer nicht nur unter denen umlaufen, die schon reich sind» (vgl. Koran 59:7). Die Armen und Bedürftigen haben deshalb ein Anrecht auf diese Zakat, welche einmal jährlich entrichtet werden muss. Natürlich werden dadurch nicht andere, freiwillige Spendenformen ausgeschlossen, sondern sie werden in vielen Stellen des Koran und in den Überlieferungen des Propheten ausdrücklich erwähnt und gefördert.Wie allgemein bekannt, ist den Muslimen im Monat Ramadan das Fasten (arab. «Saum») vorgeschrieben. Es ist eine Übung zur Selbstbeherrschung, Willenskraft und innerer Einkehr. Vom Beginn der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang enthält sich der Fastende des Essens, Trinkens und geschlechtlichen Verkehrs. Dadurch sollen Körper und Geist gereinigt werden. Der Fastende hält sich fern von üblen Worten, Werken und Gedanken und sucht seine Zuflucht bei Gott in meditativer Versenkung, Gebet und Selbstbesinnung. Daneben fördert das Fasten das Zusammengehörigkeitsgefühl der muslimischen Gemeinde.

Eimal im Jahr versammeln sich Millionen von Muslimen aus der ganzen Welt in Mekka und Umgebung zur Pilgerfahrt (arab. «Hadsch»). In verschiedenen rituellen Handlungen folgen sie den Ursprüngen der islamischen Botschaft: das Umschreiten der von Abraham und Ismael errichteten Kaaba in Mekka, das Verweilen im geschichtsträchtigen Tal von Arafat, die sinnbildliche Steinigung des Satans und das abschliessende Opfer verbinden sie in eindrucksvoller Weise mit der abrahamitischen Tradition des reinen Monotheismus. Die Pilgerfahrt gilt als Symbol der muslimischen Einheit.Im Islam bilden Individuum und Gesellschaft, Religion und Politik, Gesetz und Moral eine Einheit. Der Muslim – ob Mann oder Frau – ist gegenüber sich selbst und seiner Gemeinschaft verantwortlich (vgl. Koran 9:71). Es ist ihm daher von Gott auferlegt worden, Gutes zu gebieten und Schlechtes zu verwehren, soweit dies in seiner Macht steht. Dadurch sollen der Glaube und die Gemeinschaft vor schädlichen Einflüssen bewahrt und die Menschen mit den Inhalten der islamischen Lehre vertraut gemacht werden.

Der «Dschihad» (d.h. Anstrengung oder Bemühung), der oft fälschlicher Weise mit «Heiliger Krieg» (dieser Begriff existiert im islamischen Sprachgebrauch gar nicht!) wiedergegeben wird, spielt dabei eine zentrale Rolle. Der Muslim muss all seine Möglichkeiten ausschöpfen, um diese Ziele zu erreichen.Ich möchte an dieser Stelle noch einmal festhalten, dass ich in diesem Artikel nicht alle Themen erschöpfend behandelt habe und somit keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebe. Trotzdem hoffe ich, dass ich einen Einblick in die Gedanken- und Geisteswelt, welche bei den vielen Diskussionen über den Islam in den Massenmedien leider meist unbeachtet bleibt, vermitteln konnte.