Bereits im November 2008 wurde der Verein ««Interreligiöser Think-Tank» mit Sitz in Basel gegründet. Die Sonntag AZ veröffentliche in ihrer Ausgabe vom 24. Mai 2009 ein Interview mit der Präsidentin, Amira Hafner-Al Jabaji.

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Noch immer sind es die Männer, die im Judentum, Christentum und über Frauenrechte bestimmen. Zusammen mit sechs anderen Frauen wehrt sich die Muslimin Amira Hafner-Al Jabaji gegen diese patriarchalen Strukturen.

Was muss man sich unter einem interreligiösen Think-Tank vorstellen?

Amira Hafner-Al Jabaji: Wir sind ein Zusammenschluss von Frauen, die seit vielen Jahren in unterschiedlichen Projekten im interreligiösen Dialog zusammenarbeiten. Erstens möchten wir das Wissen, welches wir erarbeitet haben, anderen zur Verfügung stellen. Zweitens ist uns wichtig, dass wir die Gender-Perspektive – also die geschlechtsspezifische Sichtweise – stark in unsere Arbeit miteinbeziehen. Diese wird bisher in den interreligiösen Organisationen kaum berücksichtigt. Drittens sind wir institutionell unabhängig. Wir repräsentieren keine Religionsgemeinschaften und können deshalb sehr viel freier und unabhängiger unsere Meinung äussern.

Was konkret meinen Sie mit interreligiösem Dialog?

Zum einen verstehen wir darunter, bewusst mit unterschiedlichen religiösen Hintergründen über spezifisch religiöse Themen zu reflektieren, etwa zur Interpretation von Koran-, Bibel- und Tora-Texten. Aber auch das Nachdenken über die Situation von Menschen, die sich in einer säkularen Gesellschaft religiös definieren, gehört dazu. Zum interreligiösen Dialog gehört es aber auch, nicht spezifisch religiöse Themen, wie zum Beispiel Wirtschaftsfragen oder Ökologie, aus den verschiedenen religiösen Blickwinkeln zu betrachten.


Ihnen ist wichtig, die Perspektive der Frauen verstärkt in den interreligiösen Dialog einzubringen. Würden Sie sich auch als feministische Gruppe bezeichnen?

Wenn wir unter Feminismus verstehen, dass wir bewusst als Frauen agieren, dass unsere Sichtweise immer auch bestimmt ist durch unsere geschlechtliche Identität, dann sind wir sicher feministisch. Es ist nun mal so, dass Männer und Frauen aufgrund ihrer Sozialisierung dieselbe Sache anders betrachten. Männer beanspruchen bis heute, für die Menschheit allgemein zu sprechen. Nun nehmen wir Frauen uns das Recht heraus zu sagen: Moment, Ihr könnt nicht gleichermassen für Männer wie für Frauen sprechen, denn Ihr seid eurem männlichen Denksystem verhaftet und gebt somit nur die eine Hälfte der «Wahrheit» wieder. Wenn wir aber von einer Sache ein umfassendes Bild bekommen wollen, dann müssen wir beide Perspektiven einbeziehen.


Das heisst, Frauen führen den interreligiösen Dialog anders, als dies Männer tun?
Ja. Männer wenden unbewusst mehr Energie dafür auf, ihre Machtposition zu verteidigen. Da wir Frauen ohnehin keine Machtposition innerhalb unserer religiösen Gemeinschaften innehaben, gibt es kein Machtgerangel. So können wir uns voll und ganz auf die Sache konzentrieren.


Religion ist geprägt von patriarchalen Strukturen. Sind diese Strukturen aber beispielsweise im nicht stärker als im Christentum?


Ja und Nein. Wenn wir die Religionen als Systeme betrachten, dann nein: Denn sowohl im Judentum, Christentum als auch im sitzen wir, was die patriarchalische Dominanz anbelangt, alle im gleichen Boot. Wenn wir die drei Religionen aber im Kontext der jeweiligen sozialen, gesellschaftlichen und politischen Umgebung betrachten, dann ja. In den meisten Gesellschaften herrschen andere Voraussetzungen. Wie die nächste Mahlzeit auf den Tisch gebracht wird, oder ob Kinder die Schule besuchen können, sind dort Alltagsfragen. Wirtschaftliche und soziale Miseren begünstigen eine frauenfeindliche Gesellschaft. Nur fragt sich, wie stark der dafür verantwortlich ist, dass dort diese Situation vorherrscht oder inwiefern das Christentum eben nicht dafür verantwortlich ist, dass wir hier diesbezüglich bessere Zustände haben. In unserer Arbeit im Think-Tank konzentrieren wir uns aber auf die Situation in der Schweiz. Wir wollen nicht unter Ausschluss, sondern gerade mit der Religion Verbesserungen erzielen.


Sie haben kürzlich eine Stellungnahme gegen die Minarett-Initiative herausgegeben. Hätte das Verbot von Minaretten denn einen negativen Einfluss auf die Stellung muslimischer Frauen?


Ja. Diese Initiative ist in ihrem Geist gegen die Muslime und den allgemein gerichtet und verstärkt, dass Moscheen weiter räumlich und geistig an den Rand der Gesellschaft zurückgedrängt werden. Dies wiederum hat für Frauen verheerende Auswirkungen. Die schlechte Erreichbarkeit der Moscheen trifft Frauen härter als Männer, da sie weniger mobil sind. Das heisst sie sind gegenüber Männern benachteiligt, was den sozialen Austausch, die religiöse Praxis und auch das Lernangebot in den Moscheen betrifft. Hinzu kommt, dass die Räumlichkeiten der meisten Moscheen sehr klein sind. Bereits für Männer ist der Platz knapp. Es heisst dann bald einmal, da müssen die Frauen nicht auch noch kommen. So werden die Musliminnen in die häusliche Sphäre zurückgedrängt. Konservative Kräfte werden dadurch gestärkt. Das ist die Krux einer solchen Initiative, die vorgibt etwas Besseres erreichen zu wollen.


Was sind Ihre nächsten Schritte im interreligiösen Think-Tank?


Wir sind daran, Materialien, die wir erarbeitet haben, zusammenzuführen und diese auf unsere Homepage zu stellen. Da geht es um Themen wie welche gewaltfördernden und friedensstiftenden Traditionen es in den drei abrahamischen Religionen gibt. Dann werden wir Stellungnahmen zu interreligiösen und religionspolitischen Themen in der Schweiz ausarbeiten. Vermehrt versuchen wir ebenfalls aufzuzeigen, wie Religion auch in einem säkularen Staat mehr oder weniger subtil in die Politik einfliesst. Da versteht sich plötzlich eine SVP als Hüterin christlicher Werte, will aber Priesterinnen, welche politisch predigen, in den Senkel stellen. Sie bedient sich vermehrt «christlicher» Rhetorik und betreibt damit Politik, mokiert aber gleichzeitig, dem sei auch deshalb so entschieden entgegenzutreten, weil er die Trennung zwischen Religion und Politik nicht anerkenne.

Zur Person

Die Grenchnerin Amira Hafner-Al Jabaji ist Präsidentin des interreligiösen Think-Tanks. Die 38-Jährige hat und Medienwissenschaften an der Universität Bern studiert. Seit 15 Jahren ist sie aktiv im interreligiösen Dialog. Sie arbeitet freiberuflich als Referentin und Publizistin in den Bereichen Islam und Muslime in der Schweiz und ist unter anderem Mitglied der Fachkommission Integration des Kantons Solothurn.


Mehr Informationen zum interreligiösen Think-Tank finden Sie auf der Internetseite www.interrelthinktank.ch

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