In ihrer in Buchform erschienenen Magisterarbeit gibt Hamida Sarah Behr einen interessanten Einblick in den innerislamischen Diskurs zum Thema der Stellung der Frau im Islam. Dazu untersucht sie die Veröffentlichungen zweier zeitgenössischer muslimischer Experten aus Ägypten: des Rechtswissenschaftlers Khaled Abou El Fadl und des Koranexegeten Nasr Hamid Abu Zaid.

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Buchrezension Koranauslegung zu Frauenvon Hamit Duran, Turgi —

In ihrer Magisterarbeit gibt die Autorin, die an der Universität Hamburg lehrt, einen interessanten Einblick in den innerislamischen Diskurs zum Thema der Stellung der Frau im Islam. Dazu untersucht sie die Veröffentlichungen zweier zeitgenössischer muslimischer Experten aus Ägypten: des Rechtswissenschaftlers Khaled Abou El Fadl und des Koranexegeten Nasr Hamid Abu Zaid.

Die Stellung der Frau im Islam ist ein Dauerthema in der europäischen Öffentlichkeit. Dabei wird insbesondere in den Medien viel darüber berichtet und Stimmung gemacht, aber über die innerislamische Diskussion zu diesem Thema ist im deutschen Sprachraum praktisch nichts bekannt.

Die Autorin liefert mit dem vorliegenden Buch einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis der gegenwärtigen Debatten. Sie analysiert dazu die zeitgenössischen Korankommentare Abu Zaids und die Rechtsauslegungen Abou El Fadls. Zunächst stellt sie anhand einer Kurzbiografie die beiden Wissenschaftler vor, um danach auf ihre Arbeiten in ihren jeweiligen Fachgebieten einzugehen. Anschliessend beleuchtet sie anhand konkreter Beispiele deren Ansichten zur Stellung der Frau im Islam.

Abu Zaid, der in Kairo Literaturwissenschaften und Arabistik studiert hat und nach Aufenthalten an der Universität in Pennsylvania (USA) und an der Fremdsprachen-universität Osaka (Japan) an die Universität Kairo zurückkehrte, widmete sich der wissenschaftlichen Erforschung des Quran. Dabei behandelt er den Quran als einen gewöhnlichen Text. Interessant ist, dass Abu Zaid die Aussagen des Quran drei Ebenen zuordnet: Auf der ersten Eben ist der Text ein historisches Zeugnis, das die Gesellschaft und Kultur des Offenbarungsortes widerspiegelt. Dazu gehören zum Beispiel Aussagen, die sich auf die damals noch übliche Sklaverei beziehen, die heute aber keine Relevanz mehr haben. Zur zweiten Ebene gehören Bedeutungen, die metaphorisch interpretierbar sind, wie etwa die Beschreibungen des Paradieses oder mystische Vorstellungen, z.B. dass Allah (t.) auf einem Thron sitzt und von dort über Sein Reich herrscht.

Die dritte Ebene umfasst all die Anweisungen und Gebote, zu denen man aber erst vordringen kann, wenn man den kulturellen und historischen Kontext erschliesst. Und diese Ebene ist natürlich jene, welche entscheidend ist. Abu Zaid stellt sich dazu die Frage, was die Ausgangssituation zur Zeit der Offenbarung war und wie der quranische Text diese beeinflusst. In welche Richtung verändert er sie? Anhand der Reformierung des Erbrechts für Frauen beleuchtet die Autorin diesen Ansatz Abu Zaids auf anschauliche Art und Weise. Damals war es nicht üblich, dass Frauen etwas erbten. Der Quran änderte die Beziehungen im Sozialgefüge nicht, doch er machte Frauen erbberechtigt und initiierte damit eine Veränderung der herrschenden Gebräuche in Richtung Gleichberechtigung von Mann und Frau an.

Die Autorin untersucht noch einige weitere Meinungen Abu Zaids zu quranischen Aussagen, die sich auf Frauen beziehen, um danach auf die Kontroversen, die seine Ansichten in Ägypten auslösten, einzugehen. So wurde er u.a. der Apostasie, Häresie und religiöser Heuchelei bezichtigt. Er starb 2010 in Leiden in den Niederlanden, nachdem er 1995 mit seiner Frau Ägypten verlassen hatte.

Im Gegensatz zu Abu Zaid ist der zweite Wissenschaftler, den die Autorin in ihrer Arbeit analysiert, ein Experte für islamisches Recht und Anwalt für Menschenrechte. Abou El Fadl wuchs in Ägypten auf und studierte in den USA Politikwissenschaften und Jura, um dann 1999 an der Princeton Universität in Islamwissenschaften zu promovieren.

Die Autorin legt dar, dass für Abou El Fadl die Scharia ein Ideal, ein normatives Konzept für ein gutes und gerechtes Leben ist. Sie umfasst daher deutlich mehr als im europäischen Sinne unter Recht verstanden wird. Interessant ist auch die Wandlung der Juristen, wie sie Abou El Fadl beschreibt. Früher waren sie Hüter der Gesetze und traten für das Volk als ihre Repräsentanten ein. Die Rechte der Menschen standen dabei im Mittelpunkt. Heute aber kann man sie mit jüdischen Rabbinern vergleichen, die sich vor allem um soziale und familienbezogene Themen kümmern.

Bezüglich Frauen untersucht Abou El Fadl vor allem Rechtsgutachten des Ständigen Rates für Forschung und Rechtsgutachtenerlassung, eine offizielle Institution Saudi-Arabiens. Anhand von Gutachten zum Tragen von Büstenhaltern und Stöckelschuhen erläutert die Autorin, wie Abou El Fadl diese Urteile kritisiert. Einerseits werden die rechtlichen Methoden und Quellen, die zu den Entschlüssen geführt haben, nicht dargelegt, und andererseits überschreiten die Juristen ihre Kompetenz als Ausleger der heiligen Quellen. Bezeichnend dafür führt Abou El Fadl in einem seiner Schriften ein Zitat des frühen Juristen Waki an: «The people of knowledge (the scholars) document all (on a matter), whether pro or con. The people of whim, however, document only the evidence that supports their position (and ignore the rest).»

Ein weiteres Thema, das die Autorin aufgreift, ist Abou El Fadls Kritik am entwürdigenden Frauen¬verständnis des Ständigen Rates, das den historisch überlieferten Tatsachen über das Leben der Frauen in der Gemeinde des Propheten widerspricht. Nach seiner Auffassung wird Frauen heute die Gleichberechtigung unrechtmässig verwehrt.

Die Autorin gelangt aufgrund ihrer Analysen zur Ansicht, dass sich die Positionen von Abu Zaid bezüglich der zeitgenössischen Quranauslegung und von Abou El Fadl betreffend das Vorgehens zeitgenössischer Juristen ergänzen und für die religiösen Fragestellungen muslimischer Frauen in Deutschland relevant sind. Anhand von ausführlich dokumentierten Interviews mit einem Imam und einer Imamin zeigt sie exemplarisch auf, wie die religiöse Beratung muslimischer Frauen in Deutschland stattfindet. Daher ist sie der Meinung, dass die Ansätze Abu Zaids und Abou El Fadls muslimische Frauen bestärken können, Nachteile nicht hinzunehmen, sondern selbst Verantwortung zu übernehmen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Hamida Sarah Behr mit ihrer Magisterarbeit einen wertvollen Beitrag zum zeitgenössischen Diskurs bezüglich der Stellung der Frau im Islam leistet. Sie gewährt dabei Einblicke, die sowohl für Muslime als auch für Nichtmuslime aufschluss¬reich sein können.

 

Vorstellung der Autorin

Hamida Sarah Behr studierte Erziehungswissenschaften und Islamwissenschaft an der Universität Hamburg sowie Arabisch in Khartum, Sudan. Heute unterrichtet sie an der Universität Hamburg angehende Religionslehrer in Islamischer und Interreligiöser Pädagogik.

 

Bibliografie

Hamida Sarah Behr, Koranauslegung und Rechtsprechung zu Frauen – Positionen von Abou El Fadl und Abu Zaid im deutschen Kontext, Waxmann 2018, Studien zum interreligiösen Dialog, Band 13, 112 Seiten, broschiert, ISBN 978-3-8309-3755-5, 26.90 € / CHF 30.80

In einem kürzlich prominent auf vielen Kanälen beworbenen Taschenbuch über islamische Verbände in der Schweiz und Europa kritisiert uns die Autorin Saida Keller Messahli auf eine höchst innovativ-spekulative Art und Weise. Die FIDS, deren Verbände und weitere verdiente Organisationen werden mittels subtiler Wortwahl, weitläufig konstruierten Kausalitäten sowie negativem Assoziieren in die Nähe von radikalem und antidemokratischem Gedankengut gerückt.

Die organisation FIDS nihmt eine Stellung zu diesem fragwürdigen “Sachbuch”

Link zum Beitrag auf FIDS.ch: Hier