Der folgende Artikel ist in der NZZ vom 31. Oktober 2009 erschienen.

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Im 19. Jahrhundert führten Abstimmungen über die Anerkennung des jüdischen Glaubens zu Diskussionen, im 20. Jahrhundert standen die Rechte konfessioneller Minderheiten im Mittelpunkt. Heute geben die Rechte der muslimischen Minderheit in der Direktdemokratie zu reden.

Adrian Vatter, Anna Christmann und Deniz Danaci

Mit der Volksabstimmung über die Minarettverbots-Initiative vom kommenden 29. November erhält das Thema Moschee- und Minarettbauten erstmals landesweite Aufmerksamkeit in der Schweiz. Die aus rechtsbürgerlichen Kreisen lancierte Volksinitiative mit dem Ziel, den Bau von Minaretten generell zu verbieten, bringt die zahlreichen lokalen Konflikte um muslimische Sakralbauten, die unter anderem in Wangen oder Langenthal entbrannt sind, erstmals vor das Stimmvolk.

Skepsis gegenüber Muslimen

Ein laufendes Forschungsprojekt an der Universität Bern im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms NFP 58 hat die Rolle religiöser Minderheiten bei kantonalen Volksabstimmungen in den letzten fünfzig Jahren untersucht. Dabei fällt auf, dass von den 15 Volksentscheiden zu den Anliegen religiöser Minderheiten alle diejenigen Vorlagen angenommen wurden, die in den Augen der Öffentlichkeit ausschliesslich jüdische oder christliche Gemeinschaften betrafen, während die 3 Abstimmungen zur Besserstellung der muslimischen Minderheit (oder von Ausländern generell) verworfen wurden.

 
So lehnten die Zürcher Stimmbürger 1982 eine Vorlage ab, die die öffentlichrechtliche Anerkennung bisher nicht anerkannter Religionsgemeinschaften sowie das kirchliche Stimm- und Wahlrecht für Ausländer vorsah, was vor allem der muslimischen Minderheit zugutegekommen wäre. Zum ersten Mal heftige verbale Angriffe gegen Muslime wurden 1990 im Abstimmungskampf über die staatliche Anerkennung religiöser (nichtchristlicher) Minderheiten im Kanton Bern geäussert. Federführend war damals die rechts-konservative Eidgenössische Demokratische Union (EDU), die mit Erfolg versuchte, die Möglichkeit der staatlichen Anerkennung der muslimischen Gemeinschaft abzuwehren. Eine Fortsetzung fanden diese Auseinandersetzungen 2003 im Kanton Zürich, als sich die Gegner einer ähnlichen Vorlage wie im Kanton Bern im Vorfeld eines Referendums mit dem Slogan «Steuergelder für Koranschulen?» zu Wort meldeten. Beide Vorlagen scheiterten nach emotionalen Abstimmungskämpfen an der Urne und stiessen einen minderheitenfreundlichen Parlamentsentscheid um. Die übrigen kantonalen Abstimmungen, die jüdische oder christliche Gemeinschaften betrafen, waren hingegen kaum umstritten und bestätigten den jeweils vom Parlament beschlossenen Ausbau der Anerkennungsmöglichkeiten.

 
Einen Sonderfall bildete dagegen eine Abstimmung im Kanton Freiburg, die die Anerkennungsmöglichkeit für weitere Religionsgemeinschaften vorsah (Muslime, Juden, Christlich-Orthodoxe). Die Vorlage scheiterte nicht primär an der Ausweitung der staatlichen Anerkennung auf weitere Religionsgemeinschaften, sondern am geplanten Finanzausgleich zwischen den Kirchgemeinden.

 
Volksabstimmungen über die Rechte religiöser Minderheiten in der Schweiz sind kein neuartiges Phänomen. Bereits 1866 kam es auf eidgenössischer Ebene zu einer Abstimmung über die Gewährung der Niederlassungsfreiheit für Juden und über die Glaubens- und Kultusfreiheit für Nichtchristen. Während Volk und Stände der Niederlassungsfreiheit für Juden mit 53 Prozent knapp zustimmten, verwarfen sie die Glaubens- und Kultusfreiheit, weshalb die jüdische Gemeinschaft bis zur Totalrevision der Bundesverfassung von 1874 warten musste, bis sie ihren Glauben in der Schweiz frei ausüben durfte.

 
Schächtverbot 1893

 
Insgesamt zeigt ein Blick auf Abstimmungen über religiöse Minderheiten, dass die Akzeptanz in der Stimmbürgerschaft sowohl über die Zeit variiert wie auch hinsichtlich der Frage, welche Glaubensgemeinschaft jeweils betroffen war. Die erste eidgenössische Volksinitiative überhaupt betraf 1893 die jüdische Minderheit in der Schweiz in diskriminierender Weise. Die Initiative für ein Schächtverbot wurde als eine der wenigen Volksbegehren von Volk und Ständen angenommen, und noch heute findet sich ein entsprechender Passus im Tierschutzgesetz. Während die jüdische Minderheit im 19. Jahrhundert noch als Fremdgruppe wahrgenommen wurde, stieg ihr Rückhalt in der Bevölkerung seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Gleiches kann hinsichtlich von Vorlagen zur staatlichen Anerkennung der katholischen Minderheit in reformierten Kantonen bzw. der protestantischen Minorität in katholischen Ständen gesagt werden. Die Anliegen der Muslime werden dagegen von einer Mehrheit der Stimmbürgerschaft noch bis in die jüngste Zeit skeptisch betrachtet.

 
Parlamente sind liberaler

 
Eine Analyse von Parlamentsdebatten in den Kantonen macht deutlich, dass die Volksvertreter das Gleichbehandlungsgebot für Religionsgemeinschaften stärker gewichten als das Volk und sich in der Regel für eine Liberalisierung staatlicher Anerkennungsregeln für alle Religionsgemeinschaften unabhängig von Konfession und Glaubensrichtung aussprechen. Allerdings fürchten die Parlamentarier in vielen Fällen das Damoklesschwert des Referendums, weshalb sie oft eine Strategie verfolgt haben, liberale Anerkennungsregeln für nichtchristliche Glaubensgemeinschaften gewissermassen «nebenher» im Rahmen von Totalrevisionen der Kantonsverfassungen einzuführen. Bei den Volksabstimmung wurden diese Anpassungen dann aufgrund der Vielzahl anderer Neuerungen nicht thematisiert. So wurde die Möglichkeit der öffentlichen Anerkennung (wenn auch in unterschiedlichem Ausmass) von Muslimen in sieben von neun Kantonen im Zuge von Totalrevisionen der Kantonsverfassungen eingeführt.

 
In den letzten Jahren war es vor allem die SVP, welche die Islam-Thematik auf die politische Agenda brachte. Sie drohte mit Referenden, lancierte Initiativen oder wollte obligatorische Volksabstimmungen als Bedingung für die Anerkennung von nichtchristlichen Gemeinschaften in die Verfassung schreiben, so etwa 2005 im Kanton Basel-Stadt im Rahmen der Totalrevision der Kantonsverfassung. Der Druck mit den Volksrechten blieb vielerorts nicht ohne Auswirkungen auf die Parlamentsdebatten.

 
Abbau von Rechten

 
Die Untersuchung aller rund 200 Volksabstimmungen in der Schweiz zum Umgang mit Minderheiten seit 1960 weist darauf hin, dass die direkte Demokratie für betroffene Minderheiten nur dann zum Problem wird, wenn gleichzeitig zwei Bedingungen erfüllt sind: So scheitern Abstimmungsvorlagen an der Urne, wenn erstens ein Ausbau von Minderheitenrechten angestrebt wird und zweitens dieser Ausbau gemäss der öffentlichen Meinung schlecht integrierte Gruppen wie Muslime oder allgemein Ausländer betrifft. Stehen hingegen die Anliegen gut integrierter Minderheiten wie diejenigen der Sprachminderheiten in der Schweiz im Mittelpunkt oder zielt eine Vorlage auf einen Abbau bestehender Minderheitenrechte ab, bleiben diese in Volksabstimmungen im selben Ausmass geschützt wie in den Parlamenten.

 
Bei der Minarettverbots-Initiative, die nun am 29. November zur Abstimmung kommt, geht es zwar einerseits um die Rechte einer in der öffentlichen Wahrnehmung kulturellen Fremdgruppe, dieser soll aber andererseits ein bisheriges Recht beschnitten werden – bis heute ist der Bau von Minaretten in der Schweiz nicht verboten. Der Ausgang der Abstimmung wird damit nicht zuletzt davon abhängen, ob die Stimmbürgerschaft die Gewährung bestehender religiöser Rechte für eine Minderheit stärker gewichtet als die grundsätzliche Skepsis gegenüber einer für viele fremden Kultur.

 
Adrian Vatter ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bern und leitet im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms NFP 58 «Religionsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft» ein Projekt zu direkter Demokratie und religiösen Minderheiten in der Schweiz. Anna Christmann und Deniz Danaci arbeiten als Doktorierende an diesem NF-Projekt.

 
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In Zusammenarbeit mit der Gesellschaft Schweiz-Islamische Welt (GSIW) und der Redaktion von islam.ch hat der VAM ein Argumentarium zur Minarettverbotsinitiative des «Egerkinger Komitees» zusammengestellt.

 
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