Ein interessanter Artikel in der NZZ vom 24./25. Oktober 2009.


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Die Präsenz von Muslimen hat in der Schweiz bisher wenig ernsthafte Probleme verursacht. Ein Minarettverbot gemäss Initiative würde Diskriminierung statt Religionsfrieden bedeuten.
 
Von Christoph Wehrli

Als vor 40 Jahren die ersten Gastarbeiter aus dem damaligen Jugoslawien in die Schweiz kamen, nahm man kaum wahr, dass es sich zum Teil um Muslime handelte. Lange sah niemand eine Gefahr der «Islamisierung», und niemand «wusste», dass «der Islam» und «der Westen» unvereinbar seien. Seither ist die Zahl der Muslime im Land auf schätzungsweise 350 000 bis 400 000 gewachsen – vor allem nachdem in den 1990er Jahren der Torschluss für die Umwandlung von Saison- in Jahresbewilligungen und die Kriege auf dem Balkan zu einer einmaligen Einwanderungswelle geführt hatten. Ist nun eine Islam-Debatte nachzuholen? Das Echo, das die Anti-Minarett-Initiative schon lange vor der Abstimmung vom 29. November ausgelöst hat, scheint klar darauf hinzuweisen.

 
Wenig reale Friktionen


Welche Probleme zeigen sich denn konkret? Eigentlich funktioniert das Zusammenleben fast überraschend gut. Beidseits überwiegt Pragmatismus (ohnehin ist nur ein Bruchteil der Muslime «praktizierend»). An der Geltung des schweizerischen Rechts ist nicht zu zweifeln. Für Grenzfragen gibt es Faustregeln wie etwa jene für das Kopftuch: Schülerin ja, Lehrerin nein. Die Gleichberechtigung der Frau in der Familie dürfte allerdings – unabhängig von der Religionszugehörigkeit – oft eine längere Entwicklung benötigen.

 
Die allermeisten der etwa 150 gemeinsamen Gebetsräume sind unauffällig in bestehenden Bauten eingerichtet. Dass viele islamische Zentren auch eine wichtige soziale Funktion für ihre Besucher erfüllen und dass diese eher zu den «braven» Ausländern gehören dürften, ist wohl auch einmal zu bedenken. Der Islam ist wohl immer noch vielen unvertraut, doch gerade die Kirchen führen vielerorts einen Dialog.

 
Nun also der Streit um das Minarett. Offenkundig hatte und hat es in der Regel für die Muslime in der Schweiz keine Priorität. Doch ist es nur normal, wenn sie – wie Einzelne, Firmen und Organisationen sonst auch – früher oder später ihre Präsenz sichtbar machten und markierten, und zwar naheliegenderweise mit einem Minarett. Von Ghetto-Bildung ist dies das Gegenteil. An Bauvorschriften herrscht bekanntlich kein Mangel, und in jedem Einzelfall ist eine mit der Umgebung verträgliche Lösung zu suchen. In diesem Sinn kann auch ein öffentlicher Ruf des Muezzins zum Gebet ausgeschlossen werden – angesichts der verstreut lebenden Gläubigen hätte er auch keinen Sinn.

 
Ideologien auf beiden Seiten

 
Es ist somit erklärungsbedürftig, weshalb sich das Thema Minarett zur politischen Mobilisierung eignet. Natürlich spielt eine Rolle, dass der Islam oft in Verbindung mit bedrohlichen Mächten wahrgenommen wurde und wird. Man erinnert sich vage daran, dass die Türken einst, 1683, vor Wien standen. Es gibt einen mit pervertiertem Islam begründeten Terror, und Regime, die das religiös-traditionelle Recht reaktionär zum Gesetz gemacht haben, treten Menschenrechte mit Füssen.

 
Auch wird dem Islam als solchem eine politische Dimension angekreidet – wie wenn Religion reine Privatsache, ein Programm für innere Wellness, bleiben und speziell mit ihren ethischen Zielen nicht in die Gesellschaft hinein wirken sollte. Den Menschen aus Bosnien, Mazedonien oder der Türkei, die in der Schweiz die Grundlage einer besseren Existenz gesucht und in harter Arbeit gefunden haben, die Absicht einer auch nur kulturellen «Eroberung» zu unterstellen, ist jedenfalls ebenso absurd, wenn nicht niederträchtig, wie sie für die Unterdrückung von Christen in Saudiarabien oder für Irans Raketen büssen zu lassen.

 
Es gibt in der Schweiz durchaus eine «Tradition» religiöser Diskriminierung. Den Juden wurden die Niederlassungs- und die Glaubensfreiheit erst einige Zeit nach Gründung des Bundesstaats zugestanden. Gegenüber der schwächeren christlichen Konfession beschränkte man sich auf punktuelle Einschränkungen wie das Verbot des Ordens der Jesuiten, das erst 1973 aufgehoben wurde, als die Katholiken längst bewiesen hatten, dass sie gute Bürger und nicht Befehlsempfänger der «Macht» in Rom sind.

 
Die Schikanen oder Nadelstiche haben die Integration der einstigen Gegner des Bundesstaats gewiss nicht beschleunigt (im Gegensatz zu den öffentlichrechtlichen Regelungen für die Kirche), vielmehr haben sie Trennungen betont und Wunden hinterlassen. – Bei allen Unterschieden zwischen den Situationen fällt auf, dass es in manchen Kreisen geradezu ein Bedürfnis zu geben scheint, vermeintliche oder echte globale Bedrohungen heranzuprojizieren und in der kleinen Schweiz verbissen, wenn auch oft nur symbolisch zu bekämpfen.

 
Verbot eines Symbols – Symbol feindseliger Angst

 
Die Forderung der Volksinitiative, den Bau von Minaretten generell zu untersagen, bewegt sich in doppeltem Sinn auf symbolischer Ebene. Die Idee ist politisch recht schlau; denn es werden Emotionen berührt, und es wird gleichzeitig ein konsequent hartes Verbot vermieden. Auch den Initianten ist ja klar, dass es letztlich keine Alternative zum Zusammenleben gibt. Die Idee ist aber auch unseriös und perfid. Gegen Fundamentalisten und Extremisten, die wirklich Wachsamkeit erfordern, ist ein Minarettverbot völlig wirkungslos. Es verhindert auch keine einzige arrangierte Ehe unter Muslimen wie unter Nichtmuslimen. Es gilt pauschal, obwohl selbst seitens der Initianten teilweise zwischen Muslimen und Islamisten differenziert wird. Und es verletzt, wie in guten Treuen nicht bestritten werden kann, die Religionsfreiheit, da zu einer Glaubenspraxis auch Traditionen und sichtbare Ausdrucksformen gehören.

 
Selbst wenn es nur wenige Projekte träfe, wäre ein Verbot des «Symbols Minarett» ein Symbol der Demütigung und als solches unnötig schädlich. Es wäre aber auch ein Zeichen unwürdiger Angst. Wer sozusagen auf «Religionsfrieden durch Repression» setzt, hat weder Vertrauen in die offene Gesellschaft noch in den Rechtsstaat und die direkte Demokratie der Schweiz – könnte denn so etwas wie die Scharia je eine Mehrheit finden?

 
Man braucht gar nicht den Begriff der Toleranz zu bemühen. Es geht um schlichte Rechtsgleichheit, soweit sie für die unterschiedlichen Religionen und Konstellationen möglich ist, und es geht um das Recht auf persönliche Freiheit. Auf diesen klassischen liberalen Prinzipien gedeiht am ehesten echter religiöser Frieden.

 
*** Zitatende ***
 
An dieser Stelle möchten wir nochmals auf das Argumentarium von VAM und GSIW hinweisen. Obwohl z.B. der Tages-Anzeiger als auch 20 Minuten Kenntnis davon haben, wird es ignoriert. Genau so, wie all jene anderen positiven Bemühungen der Muslime in der Schweiz.