Die Initiative «Gegen den Bau von Minaretten» hat am heutigen 4. März 2009 zu einer mehrstündigen Debatte im Nationalrat geführt. Während die Initianten offenbar die Islamisierung der Schweiz befürchten, warnen ihre Gegner, die Initiative verstosse gegen Menschenrechte, wie etwa gegen die Religionsfreiheit.

Mit 128 zu 53 Stimmen befand der Nationalrat, das Volk abstimmen zu lassen, und mit 129 zu 50 Stimmen bei sieben Enthaltungen, wurde beschlossen, die Volksinitiative dem Volk zur Ablehnung zu empfehlen. Die Vorlage geht nun an den Ständerat.


Die Argumente der Befürworter eines Verbots sind hinlänglich bekannt. Interessant ist aber die Stellungnahme des Grünen Nationalrates Joe Lang: Die Initiative richte sich nicht primär gegen die Minarette, sondern gegen die Muslime als solche. Er erinnerte daran, wie national-konservative Kräfte die Gleichstellung der Juden zu verhindern versuchten und an die Konflikte zwischen Protestanten und Katholiken, indem er sagte: «In Nidwalden hiess es, wer Protestant ist, kann nicht Nidwaldner sein, weil wir schon immer und alle katholisch gewesen sind. Diese Logik führen sie heute weiter; nicht mehr gegen Katholiken, nicht mehr gegen Juden, jetzt halt gegen Muslime. Die Logik ist aber die gleiche.»

In der Aargauer Zeitung ist am 4. März 2009 unter dem Titel «Ein Minarett wäre schön» ein interessanter Artikel zum Thema erschienen:

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Der Fall Wohlen zeigt: Eine Moschee zu bauen, ist schwierig, auch ohne Turm.
Senur Aydin sitzt in seinem Büro im ersten Stock der Wohler Moschee und schaut vor sich auf den Tisch. Der Raum sieht aus, als wäre Aydin gerade erst eingezogen. Die Wände sind fleckenlos weiss. Es gibt nur wenige Möbel. «Eigentlich wäre es schön, ein Minarett zu haben», sagt Aydin. Er ist Vizepräsident der islamischen Gemeinschaft Bremgarten. Der Stiftung gehört die Moschee. Aydin ist Türke, wie die meisten Gemeindemitglieder. Wenn er über ein Minarett redet, bleibt er im Konjunktiv, denn erst einmal ist er froh, dass die Gemeinschaft seit einem Jahr ihre eigene Moschee hat.

Der Weg dahin war schwer genug. 2003 reichte die islamische Gemeinschaft bei der Gemeinde Wohlen ein Baugesuch für eine Moschee ein. Im September 2007 wurde das Gotteshaus eröffnet. Vier Jahre zwischen Hoffen und Verzweifeln. Vier Jahre zwischen Annäherung und Ablehnung. Heute steht die Moschee mit Platz für 300 Gläubige im Industriegebiet Rigacker. Ohne Minarett.


Der Rigacker ist ein Industrieniemandsland, wie man es zwischen Bern und Zürich überall findet. Handwerksbetriebe, ein Getränkegrosshandel, Tankstellen, Garagen. Gute Schweizer KMU — und gute Steuerzahler. Die Moschee liegt am äussersten Rand des Rigackers, gleich neben einer Baufirma. Um den Bau von aussen als Moschee zu erkennen, braucht es viel Fantasie. Einzig die schwere, hölzerne Eingangstür, die mit Koran-Suren verziert ist, deutet auf einen sakralen Bau hin. Die Moschee sollte auch als Gewerbebau «umnutzbar» sein. So schrieb es die Gemeinde vor, so wollte es die Bank, welche die Hypothek vergab. Weiter steht in der Bauvorgabe: Kein Minarett. Keine Lautsprecheranlage. Und keine Gebetsrufe.


«Wir wollten die Moschee nicht, wir mussten uns dem Regierungsrat fügen. Punkt. Man muss auch abhaken können», sagt Walter Dubler, parteiloser Gemeindeammann von Wohlen. Eigentlich wollte die Gemeinde das Land freihalten für Gewerbe, es gibt nicht mehr viel freies Bauland. Darum lehnte der Gemeinderat den Moscheebau Ende 2004 ab › «zonenfremd», hiess es in der Begründung. Die islamische Gemeinde reichte Beschwerde ein, der Aargauer Regierungsrat hiess sie gut und setzte den Bau durch. Für Dubler ist die Sache seither abgehakt. Punkt. Sein Arbeitszimmer, Nr. 111 im Gemeindehaus von Wohlen, liegt nur etwas mehr als einen Kilometer Luftlinie von Aydins Büro entfernt. Doch dazwischen liegen Welten. In Dublers Büro gibt es hohe Aktenschränke aus hellem Holz, aus denen er Dossiers mit einem Handgriff hervorzieht. Zum Beispiel das abgeschlossene Dossier «Moschee». Seit der Eröffnung des Gebetshauses habe die Gemeinde keine Probleme gehabt, sagt Dubler und schaut durch seine rahmenlose Brille in die Akten.


Damit sei er sehr zufrieden. «Es ist der Gemeinde ein Anliegen, dass Ruhe herrscht.» Man merkt, Dubler würde das Dossier «Moschee» ungern wieder öffnen, schon gar nicht für den Bau eines Minaretts. «Ich glaube nicht, dass das im Interesse der islamischen Gemeinde wäre.»

Auf dem Gang vor dem Büro von Senur Aydin stehen Jugendliche, Mädchen und Knaben, zwischen 12 und 16 Jahren. Knaben mit breiten Baseballkappen und weiten Hosen, manche Mädchen mit, andere ohne Kopftuch. Sie haben Pause. Es ist Samstag, Koranschule. Die Jugendlichen sprechen miteinander Schweizerdeutsch, Aydin grüsst sie «Salam Aleikum» und geht in seinen Socken den Gang hinunter über den beheizten Steinboden. «Wir haben uns genau an die Bauvorschriften der Gemeinde gehalten», sagt Aydin. Von aussen sehe das Haus wie ein Gewerbebau aus, aber im Innern sei es eine richtige Moschee. Vor einem Fenster bleibt Aydin stehen. Man blickt an die Aussenmauer und sieht eine Aussparung in der Mauer, eine Lücke. Aydin zeigt darauf. «Hier wäre Platz für ein Minarett.» Wäre.


Dubler war gegen die Moschee, aber ein schlechter Verlierer ist er nicht. Er zieht einen Zeitungsartikel aus einem Bundesordner hervor. Die Stimmung sei aufgeheizt gewesen, erklärt er. «Es gab lautes Säbelgerassel.» Dubler zeigt ein Zeitungsinserat, das im Rigacker ansässige Firmen geschaltet hatten. Bauressourcen würden «artfremd» verschenkt, beklagten sie. Auch die SVP engagierte sich gegen den Bau. In dieser angespannten Stimmung erhielt Aydin Drohbriefe. «Sie sind in diesem schönen Land mit ihrem Gesindel nicht erwünscht.»

Für Gemeindeammann Dubler war es eine Frage des Baulands. Für andere war es viel mehr. Dubler holt eine Broschüre mit den Resultaten der Volkszählung 2000 von Wohlen aus seinen Unterlagen. Mit gelbem Stift markiert er den Ausländeranteil. 30,2 Prozent. 9305 Schweizer treffen in Wohlen auf 4024 Ausländer. Rund 1000 davon sind islamischen Glaubens. «Dass da die Bevölkerung verunsichert ist, ist ja nachvollziehbar», sagt Dubler. Heute steht die Moschee und die Stimmung ist wieder ruhig. Auch von den Einsprechern kommen keine Klagen. «Korrekt.» Die muslimische Gemeinschaft verhalte sich absolut korrekt. Und Herr Aydin sei ein vernünftiger Mann, mit dem man sehr sachlich reden könne.

Einen Kilometer vom Gemeindehaus entfernt steht Senur Aydin im Gebetsraum der Moschee. «Das Miteinander-Reden ist der Schlüssel», sagt er. Vielleicht lässt sich irgendwann auch über ein Minarett reden. Eilig hat es Aydin nicht. Sein Glaube lehre ihn Geduld. Er blickt stolz an den bunten Kacheln des Gebetsraumes hoch. Drei Maler kamen extra aus der Türkei nach Wohlen, um den Raum zu verzieren. Dank der Moschee ist die Schweiz für Aydin ein bisschen mehr zur Heimat geworden. Vorher musste seine Gemeinde in trostlosen Wohnungen, leeren Fabrikhallen und ungeheizten Schützenhäusern beten. Sie zogen umher wie Nomaden.

Senur Aydin lebt seit dem fünften Lebensjahr in der Schweiz. Seit 27 Jahren arbeitet er «in der gleichen Bude», wie er sagt. Seine Eltern kamen als Gastarbeiter, sie kamen, um wieder zu gehen. Aydins Vergangenheit und Zukunft liegen in der Schweiz. Die seiner Kinder sowieso. «Man redet immer von Integration, aber wir brauchen einen Platz, wo wir uns integrieren können», sagt er. Für ihn heisst das: einen Platz, wo er seinen Glauben leben kann.

5 Fragen

Das will die Initiative

Heute kommt die Volksinitiative «Gegen den Bau von Minaretten» in den Nationalrat. Die MZ erklärt, worum es geht. Letzten Juli wurde die Volksinitiative «Gegen den Bau von Minaretten» eingereicht.


Wo steht sie im Moment?

 
Die Initiative wird heute im Nationalrat behandelt. Danach wird sie in den Ständerrat kommen. Bereits knapp einen Monat nachdem die Initiative am 8. Juli 2008 eingereicht wurde, verabschiedete der Bundesrat eine Botschaft, in der er dem Parlament die Initiative zur Ablehnung empfahl. Es ist ungewöhnlich, dass der Bundesrat so früh auf eine Volksinitiative reagiert.


Was will die Initiative «Gegen den Bau von Minaretten» genau erreichen?

«Der Bau von Minaretten ist verboten»: Dieser Satz soll dem Artikel 72 der Bundesverfassung hinzugefügt werden, in dem das Verhältnis zwischen Kirche und Staat geregelt ist. Gemäss den Initianten stelle der Islam den Glauben über den Staat, Minarette seien ein Ausdruck dieses religiösen Machtanspruchs. Das Initiativkomitee betont immer wieder, dass die Initiative nicht gegen den Islam an sich gehe.


Welche politischen Kräfte stehen hinter der Initiative?

Das Komitee besteht vor allem aus SVP- und EDU-Politkern, unter ihnen die SVP-Nationalräte Ulrich Schlüer, Jasmin Hutter, Walter Wobmann und Silvia Flückiger und der EDU-Nationalrat Christian Waber. Die SVP unterstützt das Minarett-Verbot als einzige Bundesratspartei.


Wer engagiert sich gegen die Initiative?

Der Bundesrat hat sich früh gegen das Minarett-Verbot ausgesprochen. Sie sei unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention. «Dieses Volksbegehren verstösst nicht nur gegen verschiedene bestehende Gesetze, es schafft uns auch viele neue unnötige Probleme», sagte Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Die Landeskirchen kritisieren die Initiative ebenfalls scharf. Bischof Kurt Koch forderte in mehreren Zeitungsinterviews, dass die Muslime in der Schweiz ihren Glauben «sichtbar» leben könnten. Auch die eidgenössische Kommission gegen Rassismus kritisierte, die Initiative sei «diskriminierend und diffamierend».

Was sagen die Muslime in der Schweiz und im Ausland zur Initiative?


Die Organisation der Islamischen Staaten verlangte im Januar 2008 von der Schweizer Botschaft in Saudi-Arabien Auskunft über die Volksinitiative › noch vor deren Einreichung. Auch bei den Schweizer Muslimen sorgt die Anti-Minarett-Bewegung für Aufruhr. Sakib Halilovic, Imam im Limattal, sagte dem «Sonntag»: «Viele Muslime sind besorgt, andere enttäuscht.» Und sein Genfer Kollege Imam Youssef Ibram sagt: «Die Initiative kann bei unseren Brüdern Zorn hervorrufen, aber wir wollen nicht denselben Fehler machen wie die dänischen Imame, die den Konflikt um die Mohammed-Karikaturen in die Welt hinausgetragen haben.»

Muslime in der Schweiz

In Deutschland stehen 200 Moscheen, die als solche zu erkennen sind. In der Schweiz vier: in Genf, Zürich, Winterthur und Wangen bei Olten. Daneben gibt es etwa 160 Hinterhofmoscheen, für ungefähr 300 000 Muslime. «Die Schweiz hinkt bei der Integration von Muslimen 20 Jahre hinterher», sagt Religionswissenschafterin Petra Bleisch von der Uni Freiburg. Sie sagt: «Die meisten Muslime deuten die Initiative als Zeichen gegen sie.» Widerstand gegen islamische Bauten gebe es auch im Ausland, «aber in der Schweiz ist er grundsätzlich», sagt sie. In Deutschland und Frankreich werden repräsentative Moscheen gebaut, zum Teil mit staatlichen Geldern.

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